Ein Dichter für alle Lebenslagen

Shakespeare

Vor 445 Jahren wurde er geboren, und es lohnt immer noch, sich auf seine wundervolle Sprache einzulassen, auf seine Gabe, zärtlich, lustig, derb, komisch zu sein und auch äußerste Gemeinheit und Brutalität glaubhaft zu schildern. Shakespeares Bösewichte sind kaum je ohne nachvollziehbaren Grund böse. Die Guten sind nie langweilig; die Frauen sind mitunter höchst witzig und durchaus keine Schwächlinge, und auch die Geister haben Seele.
Man sollte viel mehr Shakespeare lesen und wenigstens einmal im Jahr eines seiner Stücke auf der Bühne sehen – auch wenn das ist bei der ungeheuren Menge an Autoren, die man „viel mehr lesen“ sollte, kaum zu schaffen ist.

Die Sonette sind ebenso vielfältig wie die Dramen; ich kann leider nicht behaupten, auch nur die Hälfte zu kennen. Aber das bekannteste kenne ich auswendig und habe es vor vielen Jahren übertragen.

Sonnet 18

Shall I compare thee to a summer’s day?
Thou art more lovely and more temperate:
Rough winds do shake the darling buds of May,
And summer’s lease hath all too short a date;

Sometime too hot the eye of heaven shines,
And often is his gold complexion dimm’d;
And every fair from fair sometime declines,
By chance or nature’s changing course untrimm’d;

But thy eternal summer shall not fade,
Nor lose possession of that fair thou ow’st;
Nor shall Death brag thou wander’st in his shade,
When in eternal lines to time thou grow’st:

So long as men can breathe or eyes can see,
So long lives this, and this gives life to thee.

zu Deutsch:

Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?
Größer ist deine Milde, deine Lieblichkeit.
Im Lenz läßt Boreas die Knospen bleichen,
und allzukurz ist Sommers Lebenszeit,

Das Himmelsauge brennt manchmal zu heiß,
und oft umdüstert sich sein goldner Blick,
und alles Schöne gibt einst seine Schönheit preis
durch Weltenlauf und unbeständges Glück.

Dein ewger Sommer soll allein bestehn,
soll nie die Schönheit missen, die dir eigen,
nie dich der stolze Tod im Schatten sehn:
du wirst der Zeit im ewgen Vers entsteigen.

Solang ein Mann noch atmet, seine Augen sehen,
solang soll auch mein Lied, und du in ihm, bestehen.

© der Übersetzung: Claudia Sperlich

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Über Claudia Sperlich

Dichterin, Übersetzerin, Katholikin. Befürworterin der Vernunft, aber nicht in Überdosierung.
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4 Antworten zu Ein Dichter für alle Lebenslagen

  1. Sterntau schreibt:

    Der Ohrring wurde aber nachträglich ins Bild montiert, oder? 😉

  2. Claudia schreibt:

    Nein – der Ohrring für Männer ist durchaus keine Erfindung des 20. Jahrhunderts!
    Zur Zeit Shakespeares waren Männer durchaus modebewußt bis geckenhaft – genau wie heute -; Ohrringe waren damals zwar, soweit ich weiß, nicht völlig unauffällig, aber doch gut möglich.

  3. Donna schreibt:

    Einen jugendlichen Verehrer von Shakespeare und Ovid findet man unter learsander.wordpress.com
    wirklich lesenswert

  4. Claudia schreibt:

    Dank für diesen guten Hinweis!

Kommentare sind geschlossen.