Beim Marsch für das Leben kam mir die Photokopie eines handgeschriebenen Zettels in die Hände, die ich erst heute wiederfand. Unterschrieben ist der Text mit Namen und Anschrift der Autorin. Trotz des ungeübten Schriftbildes halte ich sie nicht für besonders jung, da sie das ß nach alter Art nutzt und im Telephonbuch steht. Die Anschrift ist die des Neuen Lernorts Dortmund, eines Vereins, der sich der Bildungsarbeit für benachteiligte junge Menschen verschrieben hat. In der Selbstbeschreibung des Vereins heißt es:
Der ehemalige Luftschacht Rote Fuhr – der Greveler Malakovturm – ist ein alternativer Lernort für Kinder, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen, wie zum Beispiel schulmüde, unterrichtsverweigernde Kinder und Kinder mit anderen Verhaltensauffälligkeiten aus den Grundschulen des Dortmunder Stadtbezirks Scharnhorst. Er ist mit seinem Grundstück ideal, weil Kinder dort spielend lernen und lernend spielen können. Einzeln oder in Gruppen, abgesprochen mit den jeweiligen Lehrern und Eltern, kommen die Schulverweigerer während der Unterrichtszeit bis einschließlich Nachmittags zum Malakovturm, den die Kinder auch Wohlfühlort nennen. Dort können sie nach ihren Neigungen und Begabungen in ganz unterschiedlichen praktischen Tätigkeiten ihre Fähigkeiten ausprobieren und neues Selbstvertrauen gewinnen.
Das Manifest lautet:
Marsch für das Leben
Wir haben vom Baum der Erkenntnis gegessen und wurden aus dem Paradies vertrieben.
So sind wir auch nicht mehr wie die Tiere dem Fortpflanzungszwang unterworfen, sondern können verhindern, daß die Seelen unserer ungewollten Kinder *geboren* werden, *zur Selbstbewußtheit gelangen*.
Ungewollte Kinder sind schlecht ausgerüstet für das Leben, sie gehören zu den Unglücksraben, zu den Unterdrückten und Ausgebeuteten, zu den Verbrechern.
Das wäre ein Marsch fürs Leben,
fürs gute wahre Leben,
die Manifestation der ungewollten Seelen zu verhindern.[Vor- und Nachname] Rote Fuhr 70 44329 Dortmund
Eine Frau, von der vermutet werden darf, daß sie sich für benachteiligte Kinder einsetzt, schreibt, es sei besser, wenn es viele dieser benachteiligten Kinder nicht gäbe, da sie ohnehin bestenfalls Unglücksraben, schlimmstenfalls Verbrecher würden.
Ich kann und will das nicht weiter kommentieren. Ich kann darüber nur weinen und beten – für diese Frau und für die Kinder in ihrer Nähe.
Der Marsch scheint ein alljährlicher Treffpunkt eigenartiger Menschen zu sein. Ihr Beitrag scheint das ja nun auch wieder zu beweisen.
Die einen finden die anderen eigenartig. Auf beiden Seiten.
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