Weder Weihnachts- noch Wiegenlied

Heute ist ein Gedenktag für alle verstorbenen Kinder. Zu seinem Ausklang passt ein Lied, das fast immer falsch interpretiert wird – und eine kurze Erklärung.

Aba Heidschi bumbeidschi schlaf lange,
Es ist ja dei Muetter ausgange,
Sie ist ja ausgange und kummt lang net hoam,
Und läßt dös kloa Büabel alloa dahoam.
Aba Heidschi bumbeidschi, bum bum.

Aba Heidschi bumbeidschi schlaf süeße,
Die Engelein lasse di grüeße,
Sie lasse di grüeße und lass’n di frag’n,
Ob sie dös kloa Büeblei umanander soll’n trag’n.

Aba Heidschi Bumbeidschi, in Himm’l
Da fahrt di a schneeweißer Schimm’l,
Drauf sitzt a kloans Engli mit oaner Latern,
Drein leicht vom Himmel der allerscheenst Stern,

Und der Heidschi bumbeidschi is kumma,
Und er hot ma mei Büeblei mitgnumma,
Und er hot mir’s mitgnumma und hot’s nimma bracht,
Drum wünsch ich meim Büeblei a recht guete Nacht.

Dies so oft süßlich verkitschte, in Wahrheit tieftraurige tirolische Lied wird erstaunlicherweise abwechselnd als Weihnachts- und als Wiegenlied bezeichnet. Nichts davon trifft zu.

Für ein Weihnachtslied spricht nur, daß es sich um einen kleinen Jungen handelt und Engel auch irgendwie vorkommen. Nun gibt es aber Jungen ebenso wie Engel auch in Tirol in weit mehr als nur weihnachtlichen Zusammenhängen.

Für die lautmalenden Worte aba heidschi bumbeidschi gibt es zahlreiche Erklärungen; mir scheinen die meisten davon zu weit hergeholt. Ich halte sie für einen lautmalerischen Gutenachtgruß, wie eiapopeia.

Für ein Wiegenlied spricht neben dem Gutenachtgruß (wenn es denn einer ist) die süße Melodie, der Sechsachteltakt und natürlich die Worte schlaf lange, schlaf süeße. Aber – eine Mutter, die gleich in der ersten Strophe weggeht und nicht wiederkommt?

Das Lied erzählt eine traurige Geschichte: Die Mutter ist gestorben – vielleicht im Wochenbett, jedenfalls aber während das Kind noch im Babyalter ist. Man kann sich vorstellen, daß die Amme, Tante oder Großmutter oder auch der verwitwete Vater das Lied singt. Die Engel überbringen Grüße von der Mutter und fragen das Kind, ob es nicht zu ihr möchte, machen ihm in der dritten Strophe Aussicht auf ein himmlisches Spielzimmer.
In der letzten Strophe wird Heidschi Bumbeidschi zum Euphemismus für den Tod, der nun auch das Kind geholt hat – mitgenommen und nicht wiedergebracht.

Über Claudia Sperlich

Dichterin, Übersetzerin, Katholikin. Befürworterin der Vernunft, aber nicht in Überdosierung.
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8 Antworten zu Weder Weihnachts- noch Wiegenlied

  1. aebbi schreibt:

    Ein Totenlied für Kinder !!! Ich fasse es nicht – ohne das Lied richtig zu kennen, hatte ich nur die kitschige Kinder Lied Intpretation im Hinterkopf, hatte nicht Heintjie das mal im Programm. Nach den Schlitten-Schnellfahrer-Lied ist das schon die zweite gute Lektion mehr auf Liedtexte zu achten.

  2. Claudia Sperlich schreibt:

    Heintje und noch zahlreiche andere Schnulzensänger haben das gesungen – und immer so, als sei es einfach nur süß.

  3. rote Gräfin schreibt:

    Für mich hat die Melodie trotz allem einen tröstenden Klang und da ich mich schon mit 20 Jahren damit konfrontiert sah, dass drei meiner insgesamt sieben jüngeren Brüder gestorben waren, setze ich mich sehr mit dem drohenden Tod der uns täglich erwischen kann auseinander.
    Es hilft sehr wenn die Tränen fließen können um nicht in Bitterkeit zu ersticken.
    Aber danke für den Text und Deine Gedanken dazu. Eine meiner Urgroßmütter ist im Kindbett bei der Geburt des siebten Kindes gestorben. Nachdem sie gut jedes Jahr ein Kind geboren hat.
    Deswegen ist es gut auf die Lebenden zu achten.

  4. Claudia Sperlich schreibt:

    Mir gefällt die Melodie durchaus, nur nicht die schmalzige Art, wie sie meist gesungen wird.

  5. 6kraska6 schreibt:

    Boah, echt noch was gelernt! Ich dachte echt immer, das sei so ein unsäglicher Pseudo-Volkslied-Kitsch! Ich wusste nicht mal, dass es einen ernsten Hintergrund hat! Danke!

  6. Claudia Sperlich schreibt:

    Gern geschehen.
    Und willkommen auf diesen Seiten.

  7. Hase schreibt:

    Das hab ich auch nicht gewusst,obwohl ich Heintje in meiner Kindheit verehrt und dieses Lied auch oft gehört habe. Danke !

  8. Claudia Sperlich schreibt:

    Ich glaube, Heintje hat das Lied weltweit bekannt gemacht – aber immer unter dem falschen Etikett des Weihnachtsliedes.

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